Wer war Eduard Bernstein? Die Frage mag überraschen, denn über Bernstein wissen viele etwas zu sagen. Nicht selten sind es sehr eindeutige Urteile. Im historischen Gedächtnis der Arbeiterbewegung ist ihm ein ganz bestimmter Platz zugewiesen worden: Den einen gilt er als »Verräter« am Marxismus und als »Erzrevisionist«, der die Sozialdemokratie auf den Weg der Anpassung lenkte; die anderen machten sich ihn als Vordenker einer reformistischen Politik hübsch zurecht, die von utopischem Überschuss entleert keine eigene Vorstellung von Sozialismus mehr hat. Je nach eingenommener Perspektive reichen zum Beleg meist ein paar Zitate, nicht selten werden so freilich bloß Meinungen über Bernstein verewigt, sein tatsächliches Wirken und Werk verschwinden dabei im Hintergrund. Befördert wird dies durch immer noch erstaunliche Lücken in der Forschung über Bernstein und einen nicht eben einfachen Zugang zu seinen Schriften.
Im vergangenen Jahr ist ein Büchlein erschienen, das nicht in Anspruch nahm, die angesprochenen Leerstellen füllen zu können. Warum das hier jetzt noch einmal eine Rolle spielt? Der Berliner Karl Dietz Verlag hat das Buch inzwischen frei zum Download zugänglich gemacht. Das ist nicht nur außerordentlich begrüßenswert, es ist eine erfreuliche Unterstützung des bescheidenen Anliegens sowohl dieses Buches als auch dieser Website: Lust auf eine Wiederbefassung mit dem demokratischen Sozialisten Eduard Bernstein machen, zur Lektüre seiner Schriften, der Literatur über ihn und zur Diskussion darüber anregen, was man für progressives Politik daraus lernen könnte. Der Band enthält drei Texte von Bernstein und einen in das Thema einführenden Essay.